Bringt die Corona-Krise den digitalen Aufbruch?

Die Digitalisierung hat durch die Corona-Krise quasi über Nacht einen Schub erhalten. Wird das die Wirtschaft schneller als gedacht zukunftsfähig machen? Der WEP Report online hat Danny Kensa (Foto), Digitalisierungsexperte für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Ausrichter verschiedener WEP Seminare, und WEP Geschäftsführer Dr. Harald Schroers zu ihren Einschätzungen befragt.

Report: Herr Kensa, Herr Schroers, Arbeitsminister Hubertus Heil hat gesagt: „Wir wollen aus dieser Krise digitaler, sozialer und ökologischer hervorgehen.“ Wenn Sie an Ihre Gespräche und Erfahrungen denken, die Sie in den vergangenen drei Monaten des Lockdowns mit Unternehmern gemacht haben – ist das Wunschdenken oder kann das gelingen?

Kensa: Definitiv ja. Die Unternehmen haben sich zwangsweise mit bis dato eher ungeliebten Themen wie Home-Office, webbasierter Kommunikation und Zusammenarbeit über räumliche Distanzen auseinandersetzen müssen, um überhaupt arbeitsfähig bleiben zu können. Das Erleben dieser „anderen“ Form von Arbeit stellt für die meisten eine nicht erwartete Horizonterweiterung dar – dass es eben doch geht, von zuhause oder sonst wo aus zu arbeiten und für die Erledigung der Aufgaben nicht zwingend in einem Büro anwesend sein zu müssen. Gleichzeitig haben die meisten von uns aber wohl auch erlebt, dass man nach einer Weile in erzwungener Isolation schon ganz gerne mal wieder mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro zusammen sein würde. Ich bin mir sicher, dass diese Erlebnisse nachhaltig in den Köpfen bleiben werden und zu einer viel größeren Akzeptanz neuer Formen von Arbeit und Zusammenarbeit in Unternehmen geführt haben.

Schroers: Nach unseren Erfahrungen ist die Akzeptanz für eine umfassendere Digitalisierung während der ersten Krisenwochen deutlich gestiegen, insbesondere im Bereich Kundenkontakt und Arbeitsplatzausstattung. Das liegt auch an den positiven Erfahrungen mit dem Homeoffice, beispielweise der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder der höheren Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter. Die Digitalisierung des Arbeitsplatzes kann so zu einer höheren Zufriedenheit bei den Mitarbeitern führen. Das betriebliche Bemühen um Klimaneutralität, einem inzwischen wichtigen Wettbewerbs- und Kostenvorteil, profitiert ebenfalls davon, beispielsweise über geringere Pendelzeiten, weniger Geschäftsreisen, sparsamerer Produktionsprozesse. Alles in allem: Es ist ein Dominostein angestoßen worden. Hieß es vor der Corona-Krise noch, Deutschland verpasse den digitalen Anschluss, so gibt es jetzt Anzeichen für einen verstärkten Aufbruch.

Report: Home-Office, Video-Konferenzen, E-Commerce, Webinare und andere Online-Veranstaltungen, – die digitale Kommunikation mit Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Konsumenten ist für Unternehmen aus der Not heraus eine Option geworden. Was haben sie daraus gelernt? Und werden die Unternehmen jetzt die Siebenmeilenstiefel anziehen für die komplette Digitalisierung ihrer Geschäfts- und Produktionsprozesse?

Kensa: Ich bin da etwas skeptisch und rate auch deutlich davon ab, jetzt hyperaktiv „los zu digitalisieren“. Haben sich in der Krise digitale Werkzeuge oder veränderte (Kommunikations-) Prozesse als nützlich erwiesen? Dann darf man das gerne beibehalten und davon profitieren. Niemals aber sollte Digitalisierung Selbstzweck sein. Wenn man strukturiert digitalisieren möchte, steht am Anfang immer eine zentrale Frage: „Kann ich durch eine digitale Veränderung neuen Nutzen schaffen für KundInnen, MitarbeiterInnen, Lieferanten? Wenn das verneint wird, dann macht Digitalisierung an dieser Stelle keinen Sinn. Toll ist natürlich die höhere Bereitschaft zur digitalen Veränderung – aber gerade in kleineren Unternehmen sollte der digitale Wandel auch weiterhin in kleinen Schritten umgesetzt werden. Sonst endet das hoch motivierte Vorhaben ganz schnell in Frust und Überforderung.

Schroers: Unternehmen haben schnell gemerkt, ohne digitalisierte Kommunikation geht es nicht, und es hat sich gezeigt, dass sie an vielen Stellen auch schon ganz gut funktioniert. Wer die Kontaktsperre zum Beispiel zügig via Internetshop, Konferenzsoftware, automatisierten Lieferbeziehungen und anderen Lösungen überbrücken konnte, hat einen Teil der wirtschaftlichen Nachteile auffangen können. Leider funktioniert das nicht in jeder Branche gleichermaßen. Erfreulichen Unternehmergeist zeigt die Art und Weise der Umsetzung, denn vielfach wurde ganz schnell „einfach mal gemacht“ und ausprobiert, bisherige Bedenkenträgerei und Diskussionen um Datensicherheit, Organisationsanpassung und persönliche Betroffenheiten beiseite gewischt. Durch „Learning by Doing“ wurden in kurzer Zeit wertvolle und überwiegend positive Erfahrungen gesammelt und daraus auch Selbstbewusstsein und Mut geschöpft, um die digitale Transformation weiter voranzutreiben. Geschwindigkeit und Umfang hängen aber nicht nur vom Wollen, sondern auch vom Können, sprich: den finanziellen Mitteln ab. Wir Wirtschaftsförderer haben daher an das Land Schleswig-Holstein appelliert, uns einfach zugängliche Zuschüsse bereit zu stellen, die wir vor allem für die Digitalisierungsförderung in unseren kleinen und mittleren Unternehmen nutzen können.

Report: Herr Kensa, Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen, Autonome Devices, Human Enhancement, Blockchain – von vielem ist in der Fachwelt die Rede. Was sind Ihrer Meinung nach zeitnah die wichtigsten IT-Trends, um die mittlere und auch kleine Unternehmen nicht herumkommen werden?

Kensa: Die wichtigste und gleichzeitig leider auch die schwierigste Aufgabe für KMU ist es, aus der von Ihnen genannten Vielfalt an Technologien und Themen diejenigen zu identifizieren, die für das eigene Unternehmen Sinn machen, weil durch sie neuer Nutzen erschaffen werden kann. Was für alle Unternehmen zentrale Aufgabe und somit Trend bleiben wird, ist die Kommunikation über diverse Kanäle – klassisch analog, zusätzlich über digitale Werkzeuge sowohl innerbetrieblich als auch mit externen Partnern sowie gegebenenfalls auch automatisiert zwischen Maschinen, wenn es denn Sinn macht. Die Herausforderung besteht im Kern darin, die richtigen digitalen Kommunikations-Werkzeuge für den jeweiligen Zweck zu identifizieren, zu beherrschen und sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

Report: Auch ein digitalisierter Betrieb läuft nicht ohne qualifiziertes Personal. Hat die Corona-Krise den Stand des digitalen Know-hows der Belegschaften offenbart? Wie nötig ist die digitale Aus- und Weiterbildung in kleinen und mittleren Betrieben?

Kensa: Ich sehe hier zwei Ebenen zur Beantwortung dieser Fragestellung – zum einen geht es darum, die Belegschaft für die richtige, sinnvolle Benutzung der digitalen Werkzeuge zu qualifizieren. Das müsste eigentlich eine kontinuierliche Bildungsaufgabe für alle Unternehmen - und natürlich auch Institutionen und Behörden - sein. Eine zweite Ebene sehe ich in der stärkeren Nutzung von digitalen Bildungsangeboten – nicht für jeden Kurs muss ich doch heute noch Mitarbeitende aus dem operativen Geschäft freistellen und irgendwo zum Lernen hinschicken! Digital gestützte Bildung ist so ein Megatrend, der Qualifizierung und Weiterbildung in den Arbeitsalltag zu integrieren helfen kann. Und am allerbesten funktioniert das Ganze, wenn man das Beste aus den verschiedenen „Welten“ miteinander verknüpft – also zum Beispiel Präsenz-Veranstaltungen als Einstieg und Abschluss für eine Bildungsmaßnahme durchführt und dazwischen die individuellen Lerninhalte digital zur Verfügung und Bearbeitung durch die Kursteilnehmenden bereitstellt. Dieses sogenannte Blended Learning ist eine sehr gute Möglichkeit, Lernen in den Arbeitsalltag zu integrieren und somit zu einer kontinuierlich lernenden Organisation zu werden.

Schroers: Die aktuell geführte Diskussion zur Digitalisierung bildet die betriebliche Komplexität aus meiner Sicht nur unzureichend ab. Sicherlich, Homeoffice und digitale Konferenzen sind wichtige Bausteine, aber die Digitalisierung greift ja in sämtliche Geschäftsabläufe ein, wie ein neues Universalwerkzeug. Prozessoptimierung, Datensicherheit und Persönlichkeitsrechte stehen damit fortwährend auf dem Prüfstand. Denken Sie an einfache Beispiele, an elektronische Kassensysteme in Tankstellen, die nachts zur gleichen Uhrzeit ihre Daten aus allen Niederlassungen an die Zentrale leiten und dort automatisierte Kontroll- und Bestellvorgänge auslösen oder an den Chip in der Maschine des Kunden, der Verschleißmessungen durchführt und bei Bedarf einen Wartungstermin in den Kalender des Monteurs schreibt. Damit zu leben, müssen Organisationen und Menschen häufig noch lernen, bei gleichzeitig hohem Entwicklungstempo in der digitalen Welt. Laufende Fortbildung ist deshalb ein ständiges Muss. Wir greifen daher in unseren Veranstaltungen, wie etwa dem WEP Digitalisierungsforum im vergangenen Februar oder dem heutigen interaktiven Online-Workshop "Service-Innovation – Aus Kundensicht denken lernen“ immer wieder Themen rund um die Digitalisierung auf, um Anregungen und Unterstützung vor allem für unsere Kleinen und Mittleren Unternehmen im Kreis Pinneberg zu geben. Darüber hinaus zeigt unsere Fachkräfteberatung im Rahmen des bundesweit geförderten Programms unternehmensWert:Mensch plus den Unternehmen Wege auf, wie sich Digitalisierung gewinnbringend einsetzen lässt.

Report: Herr Kensa, Cyberkriminelle nutzen die Corona-Krise mit dem Realexperiment Digitalisierung für ihre Aktivitäten und hatten zum Teil leichtes Spiel dabei. Wird es gelingen, Unternehmensdaten bei schneller Digitalisierung besser zu schützen und zu sichern?

Kensa: Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, sagt man. Entsprechend groß werden wohl auch die Begehrlichkeiten sein, die diese wecken. Cyberkriminalität wird nicht verschwinden, im Gegenteil. Die einzige Möglichkeit für Unternehmen ist es, den unberechtigten Zugriff auf Unternehmensdaten so schwer wie möglich zu machen. Das gelingt gerade für KMU am besten, wenn man sich hierfür eines robusten, professionellen IT-Dienstleisters bedient. Zum Beispiel könnte man seine Server ja an ein ordentliches Rechenzentrum vor Ort übergeben, wo bauliche, technische und organisatorische Sicherheit Kern des Geschäftsmodells ist. Selbst gebaute Software und mit einer Firewall „geschützte“ Unternehmensnetzwerke stellen in der Regel keine echte Herausforderung für Cyberkriminelle dar.

Report: Digitalisierte Unternehmen brauchen nicht nur ein eigenes gutes Netzwerk, auch die öffentliche Netz-Infrastruktur ist wichtig. Ist das vor allem im ländlichen Raum unzulängliche, teils sogar noch fehlende Breitbandnetz nicht ein Stolperstein auf dem Digitalisierungsweg?

Kensa: Kern der Digitalisierung ist die digitale Kommunikation – entweder zwischen Menschen, zwischen Mensch und Maschine oder nur zwischen Maschinen, ganz ohne menschliche Beteiligung. Ohne eine zeitgemäße infrastrukturelle Grundlage zur breitbandigen Datenübertragung, egal über welches Medium, brauchen wir über echte Digitalisierung nicht nachzudenken oder zu reden.

Schroers: In der Tat, vor allem im ländlichen Raum lassen langsame und unzuverlässige Internetverbindungen Betriebsinhaber und ihr Personal nicht nur in der Corona-Krise verzweifeln. Auch im Kreis Pinneberg treffen wir noch vereinzelt auf unzeitgemäße Anbindungen. Von Home-Office-Workern hören wir zum Beispiel, dass einige, wo technisch möglich, zum DSL-Anschluss mangels Glasfaseranbindung noch schnell einen zusätzlichen Kabelanschluss ins Haus geholt haben, um über mehr Megabits und Störungsfreiheit für die Arbeit der Eltern und das Home-Schooling der Kinder zu verfügen. Das kann aber nur eine Zwischenlösung sein. Denn wenn die Netze den neuen digitalen Anforderungen nicht zeitnah standhalten, wird der Digitalisierungsschub in den Unternehmen wieder ausgebremst. Auch vor dem Hintergrund, dass wir Unternehmen und zusätzliche (Homeoffice-)Arbeitsplätze im eher ländlich geprägten Raum ansiedeln möchten, Stichwort Pendlerzahl reduzieren, wäre eine gut ausgebaute Glasfaseranbindung von sehr großem Vorteil.

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